Wehrhafte Demokratie


22.3.23


Seit den letzten Wochen beschäftigen mich so viele Gedanken, dass ich ein paar hier mal wieder schriftlich „entlassen“ muss. Die Zeit schreitet so schnell voran, bringt neue Themen oder auch die alten aus einer neuen Perspektive, dass ich sortieren muss, also Ordnung schaffen will. Aber wie man vom Frühjahrsputz weiß, hält die Ordnung nicht lange. Trotzdem.

Am meisten hat mich die Gedächtnisvorlesung unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Gedenken an die „Weiße Rose“ an der LMU in München beschäftigt. Wie er deren Mut, den sie mit ihrem Leben bezahlt haben, würdigt, die Zeit beschreibt und Zusammenhänge bzw. diese Gleichzeitigkeit: „Am 18. Februar 1943 gerieten sie in die Fänge der Machthaber – an jenem Tag also, an dem Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast seine berüchtigte Rede zum „totalen Krieg“ halten sollte“, erwähnt, war für mich wichtig.

Natürlich wird ihr Eintreten für Freiheit, Frieden und Menschenwürde von unserem Bundespräsidenten hervorgehoben, um im weiteren darauf hinzuweisen, dass auch heute wieder diese Werte verteidigt werden müssen; sie sind nicht selbstverständlich; es gibt Angriffe von außen und innen.

Er erwähnt auch, dass die Geschwister Scholl nicht von Anfang an gegen Hitler waren, sondern sogar begeistert waren „Kaum einer von ihnen war von Anfang an gegen das NS-Regime. (…..)Je stärker das Regime aber auf totale Gleichschaltung und Unterwerfung jedes Einzelnen zielte, je brutaler es gegen seine Gegner vorging, je schrecklicher die im Namen einer unmenschlichen Rassenideologie verübten Verbrechen wurden, umso mehr reifte in diesen jungen Menschen die Erkenntnis, wie es in Wahrheit um Deutschland stand. Und dass es nur ein Mittel gab, daran etwas zu ändern: aufstehen und Widerstand leisten.“

Und weiter: „Sehr klar war sich die Weiße Rose auch darüber, welch schwere Schuld ihre deutschen Zeitgenossen auf sich geladen hatten. „Ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!“ Wichtig: „Schon im Sommer 1942 straften sie all jene Lügen, die damals – und noch viele Jahre nach dem Krieg – behaupten sollten, vom Menschheitsverbrechen der Shoah und den anderen schweren Verbrechen nichts gewusst zu haben.“


Zur Zeit lese ich gerade das Buch von Alexander und Margarete Mitscherlich „Die Unfähigkeit zu trauern“. Darin geht es genau darum, um das Vergessen und Verleugnen. Das Thema war von Anfang an mit einem Tabu belegt, das eigentlich, wie mir scheint, noch gilt. Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass wir Deutschen „befreit“ wurden und Opfer sind. Die Idealisierung Hitlers, die Entmenschlichung von Volksgruppen, das Mitmachen und Ausführen von schrecklichen Gewalttaten, wurden mit aller Kraft „vergessen“. Die Mitscherlichs schreiben, dass psychisch Scham und Schuld abgewehrt werden mussten. Nun sind psychoanalytische Texte nicht einfach zu lesen und es gibt auch einen kleinen Widerstand in mir der Freud'schen Triebtheorie zu folgen, aber ich verstehe, dass Erinnerungsarbeit als ein Trauerprozess hier verstanden wird und unbedingt notwendig zur Verarbeitung ist, so schmerzhaft sie auch sein möge.

Mir ist klar geworden, dass ich als Nachkriegsgeborene mich an diesem Abwehrverhalten beteiligt habe. Ich wollte mich nicht schuldig fühlen, ich hätte mit den Dingen vor meiner Geburt nichts zu tun. So wird psychisches Verhalten in die nächste Generation transportiert. Das, was wie geschehen ist, bleibt im Dunkeln und steht als Erfahrung nicht zur Verfügung, denke ich. Bei mir hat es auch das historische Gedächtnis negativ beeinträchtigt. Als ich mich 2020 bei dem neuen Infektionsschutzgesetz über die Formulierung „wird ermächtigt“ aufregte, wurde ich gescholten. Ich hatte unwissentlich einen Bezug zu den Ermächtigungsgesetzen von 1933 hergestellt. Jede Bezugnahme auf diese Zeit ist ein Tabu. Immer noch oder schon wieder?

Das war eine wichtige Erkenntnis für mich. Plötzlich habe ich mich völlig anders in die Zeit hineingestellt gefühlt. Ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht erklären kann.

Zurück zur Rede unseres Bundespräsidenten:

Ebenso wie A. und M. Mitscherlich schreiben, spricht auch Frank-Walter Steinmeier darüber, dass wir uns den schmerzhaften Erinnerungen stellen müssen, „wenn wir es ernst meinen mit dieser Verantwortung vor unserer Geschichte: Wie war es möglich......“ und kommt zu der interessanten Schlussfolgerung, dass wir Jahrzehnte gebraucht haben zu einer „inneren Befreiung“, die heute „unverzichtbarer Teil unserer Demokratie“ sei. Deshalb ist auch heute nicht mehr dieser Mut erforderlich. Der Widerstand der „Weißen Rose“ und anderer fand in einer Diktatur statt und wurde mit Gewalt bekämpft, also mit Gefängnis und Tod geahndet. Er sagt: „Wer diesen historischen Hintergrund kennt; wer weiß, wie hoch der Preis für Widerstand gegen das NS-Regime oft war; wer das weiß, den ärgert, wenn heute in der politischen Auseinandersetzung gelegentlich leichtfertig von „Widerstand“ gesprochen wird und dazu historische Vorbilder bemüht werden. Nichts rechtfertigt die Gleichsetzung des Protests in einer Demokratie mit dem Widerstand in einer Diktatur!“

Protest ja - Widerstand nein?

Im zweiten Nachwort von 1977 schreibt M. Mitscherlich: „Die „Unfähigkeit zu trauern“ offenbart sich in Deutschland nach wie vor, und zwar in dem Widerstand, sich mit der jüngsten Geschichte auseinanderzusetzen, sie als bedeutungsvoll für die gegenwärtigen politischen Zuständen und menschliche Verhaltensweisen anzuerkennen und entsprechend zu analysieren. Aber erst nach der Durcharbeitung seiner Vergangenheit ist ein Volk imstande, aus seiner Geschichte zu lernen, den Wiederholungszwang zu durchbrechen und notwendige gesellschaftliche Veränderungen und Erneuerungen durchzuführen.“

Wenn ich mich so umschaue, sehe ich eher Wiederholungszwang statt „innere Befreiung“ und es wird mir schmerzlich bewusst, dass ich erschreckend wenig über die NS-Vergangenheit weiß.


Wie unser Bundespräsident meint, stehen uns heute alle Möglichkeiten einer freiheitlichen Demokratie zu Verfügung, die selbstverständlich Proteste einschließt, Diskussionen bei Fehlern und Fehlentwicklungen, von verfassungsmäßigem Recht auf Widerstand, vom Rechtsweg, freien und fairen Wahlen, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit.

Das alles steht uns zur Verfügung und darf nicht missbraucht werden. Vor allem nicht vor dem Epochenbruch, dem fürchterlichen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der uns bewusst gemacht hat, „dass wir sehr viel mehr tun müssen als in den vergangenen Jahrzehnten, um unsere Demokratie zu schützen und zu verteidigen.


Was wir brauchen, ist eine Demokratie, die wehrhaft ist!“

Von da an bedient er das Narrativ (die Erzählung!), das uns sehr bekannt ist, das uns darüber aufklärt, wie böse Russland ist, welche imperialistischen Absichten dort bestehen. „Dieser Krieg speist sich aus Putins imperialem Wahn und der Angst der Kreml-Autokratie vor der Demokratie. Auch deshalb geht uns dieser Krieg etwas an. Es geht nicht nur um Solidarität mit der Ukraine – darum im Augenblick vornehmlich –, es geht auch um die Frage, wie wir uns und unsere Demokratie besser schützen.“


Und deshalb müssen wir umdenken! Deshalb müssen wir wehrhaft werden, aufrüsten, auch wegen unsere Bündnispartner, als starkes Land in der Mitte von Europa. Wir brauchen mehr Wehrhaftigkeit. Aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen!

Auch in unserem Land haben Rechtspopulisten und identitäre Extremisten Zulauf. Auch in unserem Land nehmen Hass und Hetze zu, vor allem im Netz. Auch unser Land kennt Hass auf Minderheiten. Auch unser Land ist in den vergangenen Jahren von rassistischen und antisemitischen Anschlägen erschüttert worden.“


Frank-Walter Steinmeier mäandert durch seine Aussagen, in dem er einmal die anscheinend existierende Demokratie beschwört und dann wieder vor Hass und Hetze warnt. Ja, debattieren Sie, halten Sie andere Meinungen aus, die sind notwendig in einer Demokratie, aber schauen Sie nicht weg, wenn Menschen sich zu radikalisieren drohen, so der Tenor seiner Rede, seine Ansprache an die Zuhörer und er schließt mit dem Appell: „Meine Damen und Herren, liebe Studierende, unser Land braucht Sie, unsere Demokratie braucht Sie: engagierte, leidenschaftliche, wehrhafte Demokratinnen und Demokraten! Unser Land braucht Demokratinnen und Demokraten, die sehen und hören, die sprechen und handeln!“


Ich könnte jeden Satz, jeden Absatz dick unterstreichen und ein Fragezeichen setzen mit dem Kommentar „Lebenswirklichkeit?“ Denn die sieht für mich völlig anders aus.

Ja, es gibt die wehrhaften Demokraten und Demokratinnen! Nur werde sie in der Öffentlichkeit anders benannt. Setzen sie sich insbesondere für Frieden und Waffenstillstand ein, sind sie Vaterlandsverräter und Feinde, wenn nicht gar Zerstörer der Demokratie. Man muss nämlich wissen, dass in der Ukraine auch unsere Freiheit und Demokratie verteidigt wird und keine faschistischen Milizen einen Bürgerkrieg führen. Wir sollten uns ein Beispiel an den tapferen Ukrainern nehmen (Steinmeier).

Vor dem Feindbild Russland und in der Personalisierung des Bösen schlechthin, Putin nämlich, wird Hass und Hetze gegen Andersdenkende betrieben. Sie haben kein Recht zu demonstrieren, da wir nicht in einer Diktatur leben. Im Gegenteil – unsere Demokratie, unsere freiheitliche, regelbasierte Ordnung wird mal wieder mit Panzern woanders verteidigt, diesmal nicht am Hindukusch. Nein, heute werden Menschen, die sich als Widerstand sehen, nicht mehr „in echt“ hingerichtet. Sie werden als Mensch mit einer eigenen Meinung und Wahrnehmung in ihrer Persönlichkeit (hin-)gerichtet.

Mir fehlen die Worte, um alle Verdrehungen und Manipulationen zu fassen. Ich habe oft das Bild von Agnes Strack-Zimmermann aus zwei Talkrunden vor Augen, wo sie entsetzt und empört sagt: „Da werden Frauen vergewaltigt!“ Ich wünsche mir, dass jemand mit dem gleichen Entsetzen sagt: „Da fallen Bomben! Da wird geschossen! Da sterben junge Menschen!“ Wenn an dieser Stelle Ihr Blutdruck steigen würde, liebe Frau Strack-Zimmermann, dann müssten Sie die Folgen nicht beklagen!


Lieber Herr Steinmeier, wie steht es um die freie Meinungsäußerung? Sie hatten doch auch jetzt drei Jahre Zeit, um sich ein realistisches Bild zu machen. Wie sah es und sieht es mit der Vielfalt der Meinungen aus? Es gibt anscheinend keine andere Meinung! Wer sich zu Wort meldet und nicht die eine Meinung teilt, wird diffamiert und diskreditiert. Wo sind die Debatten oder Diskurse? In Talkrunden werden schon kritische Fragen „plattgeredet“.

Wie bewerten Sie die Wort-Gülle, die nicht nur im Netz, sondern von Politikern, Journalisten und ähnlichen Menschen mit einer öffentlichen Tragweite über freie Meinungsäußerer ausgeschüttet wird? Die vor den Impfstoffen gewarnt und recht hatten?


Hier und heute die „Weiße Rose“ zu benutzen, um die herrschende Politik und Propaganda reinzuwaschen, ist eine Vergewaltigung der Geschichte und ein Missbrauch aller mutigen Menschen aus dem Widerstand zur Zeit des Nazi-Regimes. Und weil Sie sie indirekt zum Vergleich herangezogen haben, erlaube ich es mir auch. Wo stehen wir heute? Da vielleicht - „je stärker das Regime aber auf totale Gleichschaltung und Unterwerfung jedes Einzelnen zielte,....“?

Nachdem wir heute wissen, was „echt“ an der Pandemie war und wie umfänglich schädlich die sogenannten Impfstoffe sind, welche Lügen erzählt wurden, müsste eigentlich jeder wissen, wer sich schuldig, schuldig, schuldig gemacht hat.


Diese Gedächtnisvorlesung fand an der LMU in München statt. Sie drang nicht so sehr in die Öffentlichkeit und ist für mich ein Beispiel dafür, wie an unterschiedlichen Stellen in der Gesellschaft, vor unterschiedlichem Publikum, durch eine Verbindung von falschen Schlussfolgerungen mit richtigen, interessanten Aussagen, eine gewissermaßen sanfte Manipulation betrieben wird, auch Gehirnwäsche genannt. Das „Unpassende“ ist kaum wahrzunehmen. Nach seiner Rede hätten eigentlich alle, die sich gegen Maßnahmen oder die Waffenlieferungen ausgesprochen haben, als Beispiele einer freiheitlichen Demokratie, unser aller Anerkennung verdient. Das ist wehrhafte Demokratie! Stattdessen sitzt der Initiator der Querdenken-Bewegung ohne Anklage seit neun Monaten in U-Haft. Warum? Wir wissen es nicht.


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Zur Vertiefung


Die Rede des Bundespräsidenten

https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2023/02/230206-LMU-Weisse-Rose.html


Die Fakten liegen auf dem Tisch

https://www.mwgfd.org/2023/03/pressemitteilung/ MWGFD Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V. /komplette Pressekonferenz

https://www.nachdenkseiten.de/?p=95244 Putin vor Gericht Tribunal der Heuchler

Auszug: „Politisch-moralische Anklagen, die nur für eine Seite gelten, sind wertlos. Wenn diese Anklagen rein selektiv in eine Richtung erfolgen und die realen Relationen zwischen den Verbrechen einzelner Staaten verschwiegen oder gar auf den Kopf gestellt werden, dann kann aus dem Traum von Gerechtigkeit eine verzerrende Propaganda-Taktik erwachsen. Das ist momentan der Fall: In zahlreichen Medien und von vielen Politikern wird der russische Präsident als der weltweit wohl größte geopolitische Verbrecher dargestellt. (…) Dass diese alleinstellenden Behauptungen unzutreffend sind, zeigen alle seriösen Berichte, etwa über Verbrechen der US-Armee und über den kriegstreiberischen Charakter des US-Präsidenten Joe Biden und seiner Mannschaft: Keine Armee der Welt hat seit dem Zweiten Weltkrieg so viele Menschen getötet und Staaten verwüstet wie die US-Armee in offenen oder verdeckten Operationen. Innerhalb der US-Kriegsdebatten war Joe Biden ein besonders eifriger Fürsprecher für Angriffskriege durch die USA, unter anderem bei den US-Interventionen gegen Irak, Jugoslawien, Libyen oder Syrien (Hintergründe etwa hier oder hier).”


https://www.youtube.com/watch?v=rJ70DFKjy3U&list=PLpNi0Wmi7L80YYabA3qOGKP8ZporDTlRA&index=3

Interview Dirk Pohlmann mit Albrecht Müller zu seinem Buch „Die Revolution ist fällig“

Erscheinungsdatum: 07.09.2020

Bestsellerautor Albrecht Müller zeigt, dass und wie sich die Verhältnisse grundlegend verschlechtert haben. Die Revolution ist überfällig! Aber leider im Grundgesetz nicht vorgesehen ...
Der Idee nach haben wir eine schöne Demokratie, tatsächlich aber verhärtete Verhältnisse: Die Einkommen sind ungerecht verteilt. Große Vermögen in wenigen Händen und Finanzkonzerne beherrschen die Wirtschaft. Die Parteien sind programmatisch entkernt, die Medien konzentriert und meist angepasst. Frieden? Gemeinsame Sicherheit? Stattdessen wird auf Konfrontation und Kriegsvorbereitung gesetzt, fremdbestimmt von den USA. Europa zerbröselt. Die Revolution ist überfällig, resümiert Albrecht Müller, aber es wird sie nicht geben. Sein Rat an Gleichgesinnte: Tut euch zusammen, verhindert das Schlimmste und setzt auf bessere Zeiten!