"Nicht,
       was wir gelebt haben, 
       ist das Leben,
       sondern das, was wir erinnern,
       um davon zu erzählen."
                                                      Gabriel Garcia Márquez
Beim biografischen Schreiben folgen wir der eigenen Lebensspur anhand von Ereignissen und Erlebnissen. So entstehen Erzählungen, die uns die Tür auch zu längst Vergessenem öffnen können. Wege des Gewordenseins, der zeitlichen Umstände und Gegebenheiten werden sichtbar. Sören Kierkegaard bemerkte, dass "wir unser Leben zwar vorwärts leben müssen, aber nur rückwärts verstehen können".
Es gibt viele Gründe seine Lebensgeschichte(n) aufzuschreiben. Zum einen, um sich selbst seines eigenen Werdegangs zu versichern, seine Identität zu wahren und Selbstbewusstsein zu stärken. Oder auch, um sich Belastendes von der Seele zu schreiben. Dann schreibe ich für mich und nutze die kathartische (selbstreinigende) Wirkung des Schreibens.
Aber ich kann natürlich auch für meine Kinder und Enkelkinder, für "die Welt da draußen" schreiben. Vielleicht um etwas von mir für meine Nachkommen zu hinterlassen, das auch für ihre eigene Geschichte bedeutsam sein kann.
Beim Schreiben bekommen die Gedanken und Erinnerungen eine Form, verdichten sich und schaffen eine Folge und Zusammenhänge, die sich im Prozess herausarbeiten. In dem man im Schreiben gewissermaßen "abgibt", wird Abstand geschaffen. Beim Lesen der eigenen Erzählung kann man Bestätigung finden und ein Verstehen stellt sich ein. Es kann sich aber auch ein neuer Blick auf das Erlebte ergeben. Vielleicht muss man sogar ein paar liebgewordene Erklärungen fallen lassen.
In dieser Schreibwerkstatt folgen wir keinen literarischen Vorgaben bezüglich des Aufbaus oder der Form des Textes. Ähnlich wie beim Malen hören wir auf unsere Innenwelt, auf Gedanken und Impulse, die von dort kommen, frei von Vorgaben. Alles ist richtig!
Und übrigens macht es großen Spaß auch Geschichten zu erfinden, (sich) einfach so mal das ein oder andere Ereignis ganz neu zu erzählen.




Wie an dem Tag, der Dich der Welt verliehen
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten
Bist alsobald und fort und fort gediehen 
Nach dem Gesetz, wonach Du angetreten
So musst Du sein, Du kannst Dir nicht entfliehen
So sagten schon Sybillen, so Propheten
und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
                                                                             J.W. von Goethe
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
Wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott,
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.

Dietrich Bonhoeffer   


Impuls


Hierbei soll es nicht um Stil und Regeln gehen. Sich schreibend mit Gedanken, Empfindungen oder Erinnerungen auseinander zu setzen, wirkt aktivierend und klärend. Es bietet einen Weg sich mitzuteilen. Eine Möglichkeit: Alles was vielleicht gerade jetzt sich aufgestaut hat, kann „erlöst“ werden, abgegeben werden. Die andere Möglichkeit: Sich mal mit der eigenen Biografie beschäftigen. Die Themenwahl ist frei. Für einen Einstieg mache ich ein paar Themenvorschläge:


  • das Foto als Anlass sich mit dem Bären zu beschäftigen; wie geht es ihm, was denkt er usw.
  • ist unser Leben mit seinem vergleichbar? (ich frage mich nämlich, ob ich auch in so einer Art Freigehege lebe und mein „Wärter“ (amazon) bringt mir das, was ich zum Überleben brauche)/ (natürlich brauche ich viel mehr als amazon liefern kann, oder?)
  • einen Brief schreiben, den ich niemals abschicken würde

In Anlehnung an Gunnar Kaiser (Kaiser tv Interview Podcast „Wie geht es dir damit?“):

  • Was stört dich am meisten, was vermisst du, was wünschst du dir? Wie sieht gerade jetzt dein Leben aus? Wie sah es vor „Corona“ aus?


Biografisches:

  • Die Straße, in der ich aufwuchs
  • Mein Leben mit 7 Jahren
  • Wie ich zu meinem Beruf fand
  • Wie ich „meine Liebe“ fand
  • Wie wurde in meiner Familie mit Krankheit umgegangen
  • Was waren die Regeln meiner Kindheit
  • Über meine Schulzeit


Die Konzentration auf ein Thema ist eine Hilfe, um nicht zu ausufernd zu werden. Außerdem macht es Spaß anschließend einen passenden Titel für die Geschichte zu finden. Die hier genannten Themen können auch eine Anregung sein ähnliche Fragen an seine Eltern oder Großeltern zu stellen oder aber, um den/die NachbarIn auf der Treppe in einen kleinen Plausch zu verwickeln. Sich mitteilen, zuhören, sich erinnern ist belebend und daher „Lebensmittel“!

Schreiben kann in der jetzigen Situation auch ein Mittel sein, die eigene Position klärend zu formulieren und Belastungen zu erkennen, auch wenn die Texte zunächst in einem Ordner oder einem Buch verwahrt werden. Wer möchte, darf sie mir auch gerne schicken. info@lebenskunstwerkstatt-ruhr.de Ich werde sie als einen persönlichen Ausdruck betrachten und damit verantwortungsvoll umgehen, nicht nach Rechtschreibfehlern suchen und auch nicht bewerten. Oder ihr schreibt mir einfach mal wie es euch mit dem Schreiben geht.


Viel Spaß!