Wann ist man alt?

17.2.2019


Vor einigen Jahren fand ich mal eine von diesen lustigen Postkarten auf der der Spruch stand: „Alt ist man, wenn man nicht mehr mit seinen Zähnen schläft.“ Ich fand das witzig -  damals. Als ich 58 Jahre alt war, dachte ich, dass man mit 70 alt ist. Als ich 66 wurde, dachte ich, dass man vielleicht mit 85 alt ist. 

Aber was heißt es eigentlich alt zu sein? Etwa wie in meinem Fall:  bei Altersdiabetes und/oder Osteoporose? Wenn man Enkelkinder hat? Oder ein kuscheliges Körperbild, das allen Diätversuchen widersteht? Oder wenn man sich in Converse irgendwie nicht mehr passend gekleidet fühlt? 

Ich merke, dass ich mich, je älter ich werde, immer weniger alt fühle. Ist man vielleicht wirklich nur so alt, wie man sich fühlt? Oder spielt Eitelkeit eine Rolle? Oder Flucht vor der Realität? 

Keineswegs. Gefühlt sind die meisten Menschen irgendwie alterslos oder würden sich so zwischen Mitte Vierzig und ungefähr Sechzig einordnen. Auch die Achtzigjährigen. Die Oma meiner Freundin nimmt z. B. grundsätzlich nicht an den Seniorennachmittagen ihrer Gemeinde teil.  “Da sind ja nur alte Leute!“ meint die 83jährige.

Außerdem ist es so, dass die Nachkriegsgeneration tatsächlich später altert und im Durchschnitt in einer guten körperlichen und geistigen Verfassung ist. Hochaltrigkeit fängt heute so bei 85 Jahren an.

Ich gehe steil auf die 70 zu, bin also noch recht jung. Ich möchte also nicht mit solchen Begriffen wie Seniorin oder Best Agerin benannt werden. Aber nicht nur weil ich mich dann alt fühle. 

Hinter Begriffen verschwindet der Mensch, nicht zuletzt und sehr aktuell auch an dem Begriff Migrant zu erleben. Ich bin dann Teil einer Gruppe und somit auch dem Denken über diese Gruppe ausgeliefert.

Wenn ich mich aber in meiner Lebenslandschaft umgucke, sehe ich Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensläufen, Sorgen, Bewältigungsstrategien, Interessen, Haltungen, Einstellungen und die auch unterschiedlich gesund im Leben stehen. Ich sehe Menschen, die in ihrem Leben eine Menge Leistungen erbracht haben und die, für mein Gefühl, mit diesen Begriffen weggewischt werden. 

Besonders stark habe ich dieses „Aufgehen“ in einer Gruppen erlebt, als ich 2017 das Seniorenstudium begann. Ich glaube, dass man allgemein unterschätzt, wie schwer es ist, sich ein Identitätsgefühl zu bewahren, wenn man einfach nur Rentner oder Rentnerin ist. So erkläre ich mir auch das Bemühen einiger um ein „Pöstchen“. Man möchte wieder jemand sein. Kann ich gut verstehen. Denn nun wird man als Gruppe angesprochen. 

Es klingt vielleicht nach etwas Besonderem, wenn man nun Seniorenstudierende ist. Aber die ganze Sache war zunächst sehr aufregend. Ich hatte noch nie eine Uni von innen gesehen. Noch wusste ich was Moodle ist oder das LSF, das Verzeichnis der Veranstaltungen; wie man sich da anmeldet, wie man die Räume auf diesem riesengroßen Gelände findet und vieles mehr. Und man muss sich nur unter hunderten von sehr jungen Menschen begeben, um sich plötzlich alt zu fühlen.

Und doof, weil man sehr viel auf einmal neu verstehen muss. Der Spruch von Gerhart Hauptmann „Sobald jemand in einer Sache Meister geworden ist, sollte er in einer neuen Sache Schüler werden“ scheint etwas irgendwie Selbstverständliches auszudrücken, aber es fühlt sich nicht so an. Es war Balsam für mein Selbstbild, zu erleben, dass es den jungen Studierenden nicht besser erging. Auch sie liefen oft nach Orientierung suchend über das Unigelände.


Dann hatte ich auch noch das Pech eine Dozentin zu haben, die uns immer wieder darauf hinwies, dass wir nur Gäste seien, dass wir nichts zu melden hätten und uns hinten anstellen müssten, d. h. dass wir nicht mit Dozenten um einen Platz in einem Seminar diskutieren sollten, da die Jungen immer Vorrang hätten. Nebenbei sei erwähnt, dass auch wir Senioren_innen Studiengebühren bezahlen. Das alles bekamen wir erzählt, ohne bis zu diesem Zeitpunkt irgendein Seminar besucht zu haben oder anders ausgedrückt, Gelegenheit hatten uns „schlecht zu benehmen“.

Ich möchte so nicht angesprochen werden – als Mutter von vier Kindern und als Frau mit einer beruflich anspruchsvollen Laufbahn. Meinen Mitstudierenden ging es auch so und der Mangel an Wertschätzung allein schon durch die Sprache, wurde kritisiert, sehr freundlich kritisiert. 


In anderen Seminaren war es zum Glück anders. Da konnten wir uns als gleichberechtigte Lernende erfahren, als selbstverständlichen Teil der Studierenden, auch wenn die meisten deutlich jünger waren. 

Ich würde also gerne eine Lanze für „die Alten“ brechen, dazu aufrufen sie in ihrer Individualität wahrzunehmen, ihre Lebensleistung zu würdigen. 

Aber „die Alten“ machen es mir nicht leicht. Da war ich einmal auf einer Info-Veranstaltung speziell für Senior_innen. Als ein Teilnehmer am Ende eine Frage stellte und sie beantwortet bekam, musste ich sehr meine Ohren spitzen, denn im Raum begann ein allgemeines Gemurmel. Man interessierte sich nicht für die Frage und wandte sich zu einem privaten Gespräch seinem Nachbarn zu. Tja, so können sie auch sein, „die Alten“, ignorant, intolerant, unhöflich, stur, verbohrt, rückwärtsgewandt, jammernd, verbittert, besserwisserisch.

Und um auf meine Frage zurückzukommen „Wann ist man alt?“ würde ich gerne und spontan sagen, dann ist man alt. Und das könnte durchaus schon mit 47 sein.

Aber, oh je – eigentlich kann ich das nicht sagen, denn damit würde ich ein negatives Altersbild bestätigen. Und wir jungen Alten sind doch nicht so, oder?

Aber wie gesagt –  auch alte Menschen sind sehr verschieden. Was ich allerdings bei vielen älteren Menschen vermisse, ist die Bereitschaft zur Selbstreflektion. Wir müssen uns nicht mehr um jeden Preis anpassen. Wir sollten vielleicht endlich zu unserem Leben finden. Dafür müsste man natürlich über sein Gewordensein nachdenken und darüber, welche Regeln und Glaubenssätze unser Denken und Handeln bestimmen, welche (Menschen-)Bilder. Ich finde, dass das Ausleben schlechter Angewohnheiten und unreflektierter Glaubenssätze, die Menschen alt aussehen lässt!

Und - Warum geben wir uns so gerne jung? Gibt es dieses innere Bild des „alten Weisen“ oder der „weisen Frau“ nicht mehr?

Erhalte mich liebenswert

O Herr, du weißt besser als ich, dass ich von Tag zu Tag älter 
und eines Tages alt sein werde.
Bewahre mich vor der Einbildung, bei jeder Gelegenheit 
und zu jedem Thema etwas sagen zu müssen.
Erlöse mich von der großen Leidenschaft, 
die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen.

Lehre mich, nachdenklich, aber nicht grüblerisch, 
hilfreich, aber nicht diktatorisch zu sein.
Bei meiner ungeheuren Ansammlung von Weisheit 
erscheint es mir ja schade, sie nicht ständig weiterzugeben – 
aber du verstehst, Herr, dass ich mir ein paar Freunde erhalten möchte.

Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten 
und verleihe mir Schwingen zur Pointe zu gelangen.
Lehre mich zu schweigen über meine Krankheiten und Beschwerden.
Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.
Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, 
mir Leidensberichte anderer mit Freude anzuhören, 
aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen.

Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann.
Erhalte mich so liebenswert wie möglich.

Ich möchte kein Heiliger sein – mit ihnen lebt es sich so schwer -, 
aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk des Teufels.

Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken, 
und verleih mir, o Herr, die schöne Gabe, es ihnen auch zu sagen.

                                                                                     Teresa von Avila