Von Schnee und Wölfen


7.2.19



Letzte Woche schneite es und für einen Tag blieb der Schnee sogar auf den Wegen liegen. Das lockte meinen inneren Schweinehund hinaus zu einem Spaziergang. Es muss das Licht gewesen sein, denn obwohl der Himmel immer noch hell- bis dunkelgrau verhangen war, leuchtete die Erde in strahlendem Weiß. Es war wunderschön. 

In den letzten Tagen wollte es gar nicht hell werden. Das magere Licht wirkte auf mich schmutzig-grau-braun und meine innere Verfassung drohte einen ähnlichen Farbklang anzunehmen.

Den Leinpfad hatte ich fast für mich alleine. Nur sehr wenige Hundebesitzer waren unterwegs und kein einziger Fahrradfahrer. Sagte ich schon, dass es wunderschön war? 

Das Wasser der Ruhr war fast schwarz und an einer Stelle kam sie ganz nah an meinen Wanderweg heran. Das Hochwasser hatte wenige Tage zuvor noch den Weg überspült und auch jetzt noch war von den Dunen nichts zu sehen und einige Bäume ragten nur mit ihrer Krone aus dem Wasser. Eine bizarre Landschaft, die natürlich nach einem Foto verlangte. Ich kletterte auf eine Böschung, um einen möglichst guten Blickwinkel für ein Foto zu bekommen. Der Schnee knirschte unter meinen Sohlen und fühlte sich griffig an. Doch, wie ich auf meinem Rückweg mit Überraschung feststellte, war darunter eine Eisschicht. Ich rutschte aus und landete auf meinem Steiß mit einem abgeknickten linken Bein. Meine allererste Handlung war, zu überprüfen, ob irgendjemand diesen peinlichen Vorfall beobachtet hat. Nein, Gott sei Dank, kein Mensch zu sehen. Mein zweiter Gedanke war, kein Mensch zu sehen, oh Schreck! Kann ich wieder aufstehen? Habe ich mich verletzt?

Es war alles halb so schlimm. Ich kam gut wieder nach Hause, Steiß und linkes Fußgelenk  schmerzten ein wenig. 

Auf meiner kleinen Wanderung waren Kindheitserinnerungen an meinen Vater und Rodelpartien am Raumerberg nach Feierabend im Dunkeln aufgetaucht. Das geschieht jetzt anscheinend immer häufiger. Da tauchen plötzlich Situationen und Orte aus der Vergangenheit auf, ohne sie gerufen zu haben. Manchmal sind sie schön, manchmal traurig und hin und wieder ziemlich peinlich. Dies war jetzt eine schöne Erinnerung an fröhliche Eltern und Gemeinsamkeit.

Auf meinem Rückweg machte ich mir allerdings Gedanken über das Alleinsein und was ist, wenn etwas passiert. Schon lange gehe ich nicht mehr ohne mein Handy aus dem Haus, um im Fall des Falles einen Hilferuf tätigen zu können. Auch achte ich auf meine Gangsicherheit und zu meinen täglichen Dehnübungen gehört auch 'Balancing'.  Aber eigentlich finde ich mich mit diesen Vorsichtsmaßnahmen ein bisschen lächerlich und überängstlich, denn meine 'einsamen' Wanderungen würde ich niemals aufgeben wollen.

Es muss an meiner Umgebung liegen. In meiner Nachbarschaft wohnen einige ältere Herrschaften und im letzten Herbst tauchten auf einmal immer mehr Rollatoren auf, so, als gäbe es sie plötzlich im Sonderangebot. Auch steht schon mal häufiger des Nachts die Notfallambulanz in der Straße. Zwei von meinen Nachbarinnen haben im letzten Jahr ihre Männer verloren, eine andere trauert nun schon seit drei Jahren um ihren verstorbenen Mann. Sie waren über fünfzig Jahre verheiratet, haben ein ganzes Leben gemeinsam verbracht, Krieg, Flucht und Neuanfang gemeinsam gemeistert. Weiter oben in meiner Straße wohnt eine ältere Dame, die noch munter täglich unterwegs ist und keine Gelegenheit auslässt, um Bekanntschaften mit anderen Frauen zu schließen.  Aber ihre fast panische Angst vor dem Alleinsein und die ständige Wiederholung der gleichen Themen, lässt viele in der Begegnung zurückschrecken.

So – und jetzt soll mir mal jemand erzählen, wie toll es ist alt zu werden! Und allein zu sein. Oder krank.

Außer das Smartphone immer dabei zu haben und tägliche Balancierübungen, bemühe ich mich nett zu meinen Nachbarn zu sein, auch wenn mich das ein oder andere stört. Es könnte ja sein, dass ich mal ihre Hilfe brauche. Allerdings sind die meisten älter als ich und der umgekehrte Fall ist wahrscheinlicher. Die jüngeren Menschen in meinem Viertel sind meistens die mit einem Migrationshintergrund in dritter Generation. Und ich weiß, dass meine kurdische Nachbarin (zweite Generation) sich ein Bein ausreißen würde, wenn ich ihre Hilfe bräuchte.