Frohe Weihnachten?


18.12.23


Jetzt, wo das Jahr sich dem Ende zuneigt, stellt sich mir unweigerlich die Frage, was war das überhaupt für ein Jahr? Und weiter, in welchen Zeiten leben wir eigentlich? Es scheint so viel Schreckliches geschehen zu sein und nichts wirklich Gutes. Die Ereignisse überlagern sich und einige drohen in Vergessenheit zu geraten. Wie war das nochmal mit dem gewaltigen Erdbeben in Syrien und der Türkei? War das dieses Jahr? Wie sieht es da heute aus? Wie geht es den Menschen? Was hat man für die Menschen getan? Genau so wenig, wie für die Menschen im Ahrtal vielleicht? Oder noch weniger? Man hört nichts mehr darüber.

Und dann natürlich die Kriege. Es ist doch zynisch, dass man von großen und kleinen Kriegen sprechen kann. Dass deutsche Militäreinheiten in Litauen an die russische Grenze verlegt werden und diese Provokation 'Freiheit verteidigen' nennen. Dass ein Roderich Kiesewetter (CDU) die Traumatisierung und Tötung von Menschen damit anscheinend legitimiert, dass wir das Lithium aus dem Donbass brauchen für eine (fragwürdige) Energiewende. Dass aufgerüstet wird und wieder über eine Wehrpflicht nachgedacht wird. Muss ich da befürchten, dass in naher Zukunft mein jüngster Enkelsohn zum Dienst an der Waffe verpflichtet wird? Und bei diesem Genderwahn vielleicht auch noch die jüngste Enkeltochter? Eine schreckliche Vorstellung.


Wo sind die Friedensbemühungen?

Heute morgen bin ich mit dem Gedanken aufgewacht, welche Weihnachtsansprache Olaf Scholz wohl halten würde, wenn er dafür zuständig wäre? Auf einer Veranstaltung im Sommer hat er Friedensaktivisten als gefallene Engel bezeichnet und als naiv keine Waffen in die Ukraine zu liefern. Natürlich gibt es „gute“ Gründe dafür. In unserer Welt der Narrative wissen wir unsere Handlungen zu rechtfertigen. Und die sicher recht emotionalen Worte des Bundespräsidenten zu Weihnachten werden nicht anders sein. 

Es ist irgendwie komisch, dass mir dazu ausgerechnet ein Spruch von Tony Stark (Iron Man) einfällt: Wir erschaffen uns unsere Dämonen selbst.


Im Advent 2016 hatte ich den Versuch unternommen, der zum Eventcharakter mutierten Vorweihnachtszeit mehr Innerlichkeit zu geben und habe einen Gottesdienst besucht. Da wurde am 2. Advent der Predigttext aus dem Matthäusevangelium (Mt.24,1-14) verlesen, in dem es um den Untergang der Welt geht. Der Pfarrer kommentierte den Text dahingehend, dass es erst sehr schlimm werden wird, ehe der Christus wiederkommen werde. Zuvor werden es aber viele falsche sein, Verführer, heißt es noch im Text. Ich bekam eine kleine Gänsehaut, als ich den Text heute noch einmal gelesen habe und er mir sehr aktuell vorkam.

Wahrlich, wir leben in dunklen Zeiten. Damals habe ich mich über diesen Text mokiert. Ich war davon überzeugt, dass es nicht schlimmer kommen müsse, ehe die Menschen vernünftig werden. Es gab doch die Aufklärung, unser kulturelles Erbe, wo es unseren Dichtern und Denkern nach dem finsteren Mittelalter um Vernunft, Humanität, Akzeptanz und Toleranz ging. Die bekannteste und wohl wichtigste Erzählung aus dieser Zeit ist 'Nathan der Weise' von Gotthold Ephraim Lessing, eigentlich ein Theaterstück, das ich bestimmt schon dreimal in unterschiedlichen Inszenierungen gesehen habe. Mit der Ringparabel drückt er auch die Gleichwertigkeit der Religionen aus. Wir wissen, dass Islam, Judentum und Christentum die gleichen Wurzeln haben und der Tenor der Botschaften ist auch gleich.

Im Klappentext des Buches „Hundert Jahre Heimatland“ von Rolf Verleger heißt es: “Die von der nationalreligiösen Ideologie Verblendeten werden dieses Buch <<antisemitisch>> nennen. Hoffentlich! Wenn nicht, wird es mir nicht gelungen sein. Getroffen fühlen sollen sich diejenigen – Juden wie Nichtjuden - , die in Wort oder Tat dagegen verstoßen, dass alle Menschen gleich erschaffen sind und dass die Menschen unveräußerliche Rechte haben. Dies ist die jüdische Tradition, die wir bewahren sollten.“ Müsste uns Christen doch bekannt vorkommen. Rolf Verleger ist Jude und war mehrere Jahre Mitglied im Zentralrat.


Es waren zionistische Siedler, die in Palästina 1948 den israelischen Staat gründeten. Als ich als Jugendliche das Buch „Exodus“ von Leon Uris las, wo dieses Ereignis auch beschrieben wird, hat mich das erschreckt. Wahrscheinlich habe ich deshalb nur das in Erinnerung behalten. An den Rest des Buches kann ich mich nicht erinnern. Ich hatte Verständnis für die Juden, die sich ein „Heimatland“ wünschten, die Verfolgung, Drangsalierung und Schlimmeres erlebt hatten und zuletzt durch den Holocaust einer systematischen Vernichtung ausgesetzt waren. Erschrocken fragte ich mich aber auch, was mit den Menschen wird, deren Heimat dieses Land ist.

Heute steht im Overton-Magazin ein Artikel mit der Überschrift „Israelischer Bürgermeister: „Gaza sollte entleert und wie das KZ Auschwitz platt gemacht werden“.

(https://overton-magazin.de/top-story/israelischer-buergermeister-gaza-sollte-entleert-und-wie-das-kz-auschwitz-platt-gemacht-werden/)

Es ist nicht die einzige und erste Aussage dieser Art von Politikern und Militärs in Israel. Wahrscheinlich werden wir das von unseren alten Medien nicht erfahren. Jegliche Kritik an der israelischen Politik wird als antisemitisch bezeichnet und ist aus Gründen der Staatsräson nicht erlaubt. So nebenbei - ich weiß gar nicht was Staatsräson bedeutet. Ich vermute, dass Angela Merkel den Begriff erfunden hat.

Hier in Deutschland geht es mal wieder um „unsere“ alte Schuld, die jede Kritik an der israelischen Politik und ihrer schrecklichen Vorgehensweise gleich als Antisemitismus bezeichnet. Das ist nicht nur falsch, sondern absolut unmenschlich, da wir zum Weggucken damit aufgefordert sind. Überall auf der Welt gibt es Pro-Palästina Demonstrationen, selbst in Israel. Es wird offen ausgesprochen, dass Israel einen Vernichtungskrieg nur angeblich gegen die Hamas führt, aber eigentlich „ihr“ Land „reinigen“ wolle.

Bei uns nutzt man die Gelegenheit, um das Flüchtlingsthema auf breiter Ebene aufzukochen. Natürlich geht es um die Flüchtlinge aus den islamischen Ländern, die den Antisemitismus erst so richtig ins Land gebracht haben. Ja, ich kann mir gut vorstellen, dass diese Menschen mit Judenhass groß geworden sind, wenn man sich die Geschichte anschaut. Das Betrifft nicht nur Israel. Geopolitik und Machtinteressen bringen Verzweiflung über die Menschen, überall auf der Welt und wie mir scheint, zu allen Zeiten. Wir dürfen nicht vergessen bzw. unterschlagen, dass es so viele Flüchtlinge aus islamischen Ländern gibt, weil 'der Westen' sie mit „Demokratie, Freiheit und Wohlstand“ zugebombt hat. Wie gesagt, wir erschaffen uns unsere Dämonen selbst.

Ich echauffiere mich. Das ist zwar nicht sinnlos, aber nutzlos. Dieses Gefühl von Machtlosigkeit ist bedrückend. Was kann ich tun?

Da kommt mir die Künstlerin Mary Baumeister zu Hilfe: „„Setz dich hin, fokussiere dich nach oben, sehe das als Tatsache des Weltgeschehens“ (auf meiner Startseite unter „Fremde Federn“).

Welche Position sollte man gegenüber dem Weltgeschehen einnehmen? Als teilnahmsloser Zuschauer? Oder als interessierter Beobachter? Da hätten wir dann die Möglichkeit uns sowohl von den alten als auch von den neuen Medien Angst machen zu lassen. Dem kann man sich kaum entziehen, vor allem nicht, wenn sie in äußeren Symbolen oder Handlungen ständig befördert wird, wie z. B. bei den sinnlosen Masken.


Zuerst halte ich mich an einen Spruch aus meiner Kindheit. Ich nenne das mal das 'Kindergesetz': Bange machen gilt nicht.

Dann ist es für mich auch eine Frage von Lebenskunst und folge den Worten von Wilhelm Schmid aus „Schönes Leben“: „Die Grundlage von Heiterkeit ist die Erlangung von Selbstmächtigkeit. Um eine solche Selbstmächtigkeit zu erreichen, empfiehlt es sich, bei jeder Sache, die in Frage steht, sich darüber klar zu werden, ob sie 'in meiner Macht' steht oder nicht und wenn ja, wie weitgehend. Selbstmächtigkeit ermöglicht Gelassenheit, nämlich ein Lassen angesichts all dessen, was nicht 'in meiner Macht' steht; dies geht mit einer Stärkung der Hinnahmefähigkeit einher.“

Unser Gefühl von Machtlosigkeit ist ein anderes, als das der Menschen, die in Krisen- oder Kriegsgebieten Gewalt ausgesetzt sind und können ihr auf keiner Weise entfliehen. Sie alle haben mein Mitgefühl. Ich vergesse sie nicht.


Wir haben aber die Möglichkeit eine andere Position einzunehmen, uns hinzusetzen und unsere Gedanken, Gefühle und Wünsche nach 'oben' zu richten und die Weihnachtsbotschaft zu hören: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.

Klingt das pathetisch? Ja, ich glaube an ein 'Oben', an eine geistige Welt, von der wir uns allerdings sehr entfernt haben. Auch wenn mir die indischen Gottheiten, die Mary Baumeister nennt, nicht geläufig sind, glaube ich auch an Wesenheiten und Kräfte, die Wirkmacht haben. An Engel zum Beispiel. Vor allem glaube ich, dass Gedanken Macht haben.


Wir sollten und dürfen uns hinsetzen. Wir sollten bei uns anfangen. Es ist in keiner Weise hilfreich, wenn wir unseren Ängsten oder Empörungen nachgehen. Wir müssen und dürfen uns um uns selbst kümmern. Das gibt uns das Gefühl von Handlungsfähigkeit zurück. Das ist Selbstermächtigung.


Also – ich freue mich auf Weihnachten, auf meine Familie. Ich freue mich, dass das Vogelhäuschen auf meinem Balkon an dem neuen Standort wieder zahlreich von Blau- und Kohlmeisen besucht wird.

In der Freude steckt eine gute Portion Dankbarkeit, ein wichtiges therapeutisches Mittel auch in persönlichen Krisenzeiten. Wir sollten unsere Dankbarkeit bewusst auf die großen und kleinen Dinge und Ereignisse unseres Lebens lenken und auch nach 'oben' richten.


Upps - da spricht offensichtlich nicht nur die Therapeutin aus mir. Anscheinend ist an mir eine Pfarrerin verloren gegangen. Oh je!

Sei's drum!


                                                                                       Fröhliche Weihnachten!



Lesenswert/Sehenswert

Hundert Jahre Heimatland?: Judentum und Israel zwischen Nächstenliebe und Nationalismus Gebundene Ausgabe – 2. Oktober 2017

von Rolf Verleger (Autor)

Geschichte und Aktualität des Nahost-Konflikts 

Verzweifelt über israelische Menschenrechtsverletzungen, verblüfft über das Vogel-Strauß-Verhalten deutscher Politiker und aufgrund der jüdischen Tradition seiner Familie, sucht der Autor die Ursachen der heutigen Situation und spürt verlorengegangenen Alternativen nach: Im Judentum des Zarenreichs, wo Religiosität, Sozialismus und Nationalismus Wurzeln schlugen, im Zusammentreffen dieser Strömungen mit dem britischen Empire, der Furcht Europas vor dem "jüdischen Bolschewismus" und den Nazi-Verbrechen. Um seinen heutigen nationalreligiösen Fanatismus zu überwinden, braucht das Judentum ein erneuertes Leitbild von Befreiung, Erlösung und Nächstenliebe. 

Eine umfangreiche, sachliche Recherche, die Hintergründe und Zusammenhänge beschreibt, bieten die „Grenzgänger Studios“ zu den Themen Ukraine, Israel-Palästina und AfD. https://www.youtube.com/@TahirChaudhry



Womit man anfangen sollte: Rainer Mausfeld's Einleitung zu Sheldon Wolin's letztem Buch»Demokratie, Kapitalismus, Totalitarismus und Herrschaft durch freiwillige Unterwerfung«

Einleitung Mausfeld