Sonntag, den 31.01.2021

Leben und Sterben als Coronaäer

Sind wir nicht alle Opfer?

Es ist doch einfach nur schrecklich und bedrohlich! Da haben sämtliche Biotechfirmen sich so angestrengt innerhalb eines Jahres zur Rettung der Menschheit einen völlig neuen Impfstoff zu entwickeln, von dem man nicht weiß, wie er wirkt und was er bewirkt, weder im Positiven noch im Negativen, und jetzt können die nicht liefern! Unfassbar!

Regierungen treffen sich mit Pharmavertretern um, ja was, zu besprechen? Man überlegt die Impfreihenfolge neu zu konzipieren. Wieso?

Es herrscht Aufruhr. 

Was war davor? Impfkritiken, Zweifel mehrten sich. Auch gab es Todesfälle und zwischendurch, am Rande, Berichte, dass Geimpfte positiv auf Corona getestet wurden. Keine gute Voraussetzung, um die Panik und Impfbereitschaft im Lande aufrecht zu erhalten. Selbst das „Auftauchen“ von Mutationen schien das nicht zu können. Also Lieferengpass und der Vorwurf von Bevorzugungen: die da haben aber mehr Impfstoff bekommen!

Es ist aufregend. Und verwirrend. Gut, dass Frau Merkel uns zwischendurch übers Köpfchen streichelt und uns dafür lobt, dass wir so gut durchhalten. Und sie bedankt sich auch immer wieder bei uns. Das tut gut.

Und das alles um unsere wertvollen Rentnerpopos zu retten. Wir hatten nicht darum gebeten. Wir wollten nicht, dass Menschen, die ihr Leben noch vor sich haben und Menschen, die das Leben ihrer Kinder noch einige Jahre zu begleiten haben, sie zu versorgen haben, in Leid und Elend gestoßen werden.

Aber plötzlich ist das Leben der Alten wertvoll. Darüber können wir uns freuen! War es ja vorher nicht. Plötzlich ist jeder Tag wichtig, den wir überleben.

Gut, man hat bisher nie gefragt und tut es auch jetzt nicht, wie unsere Tage aussehen. Ob wir einsam sind, ob wir eingebunden sind, ob man in den Pflegeheimen mehr für uns tun könnte, z. B. Ergotherapie oder Kunsttherapie anbieten, mehr Personal, vielleicht auch Sozialarbeiter uns zur Seite stellen könnte, um ein bisschen Wertschätzung auf unserer letzten Wegstrecke zu erfahren. Das war alles zu teuer. Manchmal waren es sogar die guten Medikamente. Oder auch nur eine altersgemäße Ernährung. Alles zu teuer.

Können wir auch verstehen. Geben wir doch besser das Geld für Raketen aus. Zwar müssen wir die Bedrohung erst noch schaffen, aber wenn uns das gelingt, haben wir schon mal Waffen.

Ich will jetzt nicht darauf herumreiten, wie sehr es mich gruselt, wenn ich sehe, wie überfallartig unsere hochbetagten Mitmenschen ohne umfassende Aufklärung geimpft werden. Die meinen es doch nur gut. Und nur so nebenbei möchte ich erwähnen, dass meine 86jährige Nachbarin sagt, dass sie keine Angst vor dem Sterben hat. Sie möchte nur nicht, also niemals, in ein Heim. Habe ich schon von einigen alten Menschen gehört. 

Noch nie habe ich gehört, dass sich jemand freut, seine letzten Tage in einem Heim zu verbringen, weil er dort vielleicht seelsorgerische oder psychologische Unterstützung erfährt, sich also geborgen fühlt auf seinem letzten Stück des Lebensweges. Ist es wirklich so schwer sich in die seelische Verfasstheit eines Menschen im Anblick seines versiegenden Lebens  hinein zu denken und zu fühlen?  Und ihn mit Respekt, also menschenwürdig zu behandeln? Aber das sind ja abwegige Gedanken und ist nicht interessant. Im Fernsehen können wir sehen, wie bereitwillig, vielleicht sogar froh, sich alte Menschen impfen lassen. Und um keine Unsicherheit aufkommen zu lassen, darf der ein oder andere das dann auch in die Kamera sagen.

Meine Gefühle von Entsetzen, Wut, Ohnmacht und Traurigkeit finden kein Ventil, schlagen mir auf Magen und Immunsystem. Ich möchte „Halt! Stopp! Hört auf damit!“ schreien, aber weiß, dass mich niemand hört. Selbst mutigere Menschen, die öffentlich auftreten, die Gegenargumente haben, werden nicht gehört. Im Gegenteil. Es wird ihnen Schuld zugeschrieben.

Wir sind alle Opfer. Wir sitzen in einem Boot. In einem Boot, dass mit aller Macht gegen ein Riff gesteuert wird! Und ganz leise vernehme ich eine Stimme, die mir sagt, dass wir nicht in das erstbeste Rettungsboot steigen sollten.