14. .9. 23


Gefühlte Wahrheit(en)


Neulich war ich für ein paar wenige Tage in der Schweiz, in Luzern, um aus der Welt des internationalen Urlaubens und Reisens zurückzukehren in eine eremitische Parallelwelt vor meinem PC, auf meine Websites und Telegram-Kanälen, die als gefährlich benannt werden. Wobei ich unsicher bin, woher die Gefahr kommt. Bin ich schon mit diesen Taten eine Delegitimierer:in des Staates? Droht auch mir kleinem Licht in der Unendlichkeit des WWW, dass eines Tages ein Sonderkommando, vermummt und schwerbewaffnet, an meiner Tür steht und meine Wohnung durchsuchen will? Wahrscheinlich nehme ich mich da zu wichtig. Aber ein bisschen besorgt bin ich schon.

Doch aus unseren Medien erfahre ich, dass die eigentliche Gefahr von der Indoktrination ausgeht, der ich ausgesetzt bin, wenn ich diese „Informationen“ aufsuche.

In einer ARTE Produktion über Reichsbürger, Prinz Reuss III. und dem „König von Deutschland“ gelingt es den Autoren, Reichsbürger und Querdenker in einem Atemzug zu nennen. Mehr als einmal. Da habe ich eine ganz andere Wahrnehmung von den „Querdenkern“. Über Reichsbürger wusste ich bis dahin nichts. Aber vom Querdenken halte ich viel.

Wie groß die Gefahr ist, erfahre ich zwei Tage später in einer Dokumentation beim ZDF über „The princess of Disinformation“ Alina Lipp. Diese junge Frau scheint nach Aussagen einschlägiger Experten einen großen Einfluss auf die (falsche) Meinungsbildung in der Querdenker-Szene zu haben, weil sie russische Propaganda verbreitet. Schön an der Dokumentation ist, dass viele Beispiele ihrer Posts gebracht werden, die natürlich entsprechend der Gefahr, die davon ausgeht, gerahmt werden. Aber wenn man sich den Rahmen wegdenkt.......bekommt man interessante Einblicke.

Mir gefällt, dass sie neben Nachrichten aus ihrer Welt, auch immer Bilder von der wunderschönen Landschaft postet. Man könnte auf die Idee kommen, dass diese Natur nicht zerstört werden darf und natürlich, an erster Stelle, auch nicht die Menschen, die dort leben.


Es sind meistens die selben Experten, die uns über die wahren Hintergründe aufklären. Neben der Frage, ob sie die stimmende Wahrheit sagen, frage ich mich zusätzlich, ob ich ein Generationenproblem habe. Diese jungen Menschen wollen mir die Welt erklären?

Pia Lamberty* von CeMAS fiel mir zu Beginn der Coronakrise bereits sehr unangenehm auf, als sie natürlich als Expertin zu den Kritikern der Maßnahmen befragt wurde. Sie meinte da u.a., dass die „an irgendwas Böses glauben“. Nach meinem Gefühl hat sie die Kritiker damit infantilisiert.

 

Aus dem Team von CeMAS werden immer wieder Experten präsentiert. Tom Oliver Regenauer* schreibt über Correctiv, dass es „das Türsteher-Portal der öffentlichen Wahrnehmung (ist), das praktisch alles bestätigt, was die Regierung sagt und schreibt...“ Das denke ich über CeMAS auch.

Alina Lipp verdreht natürlich alle Tatsachen und hält es für die Wahrheit. Sie leugnet den russischen Angriffskrieg. Die Dokumentation endet mit dem bedeutungsvoll gesprochenen Satz: „Es reicht nicht die Wahrheit zu sagen. Sie muss auch stimmen.“


Gibt es Wahrheit, die nicht stimmt? Etwa alternative Wahrheiten?


Wahrheit scheint also kein Wert an sich sein. Es geht um die Deutungshoheit! Es kommt darauf an, wer spricht. Mir kommt es so vor, als würde dieser Satz aus dem Orwellschen Universum stammen.


Das hat wahrscheinlich mit Wahr-Nehmung zu tun, die wir mit einer Wahr-Gebung versehen. Und daran scheiden sich die Geister. Das wäre an sich nicht schlimm, wenn das diskutiert werden könnte. Aber nein! Die „andere“ Wahr-Gebung wird bekämpft, diffamiert und diskreditiert. Und ich frage mich, warum das mit einer solchen massiven Vehemenz geschieht.

Daraus resultiert für mich, dass ich mich nicht fragen sollte, was ich glauben kann, sondern, was ich glauben darf. Und auch: kann und darf ich mich auf mein Gefühl verlassen? Selbst die Wettervorhersage gibt mir vor, was die gefühlte Temperatur ist.

Es gehört zu meinen ganz persönlichen Erfahrungen, dass ich im Laufe der Zeit mir oft sagen musste: „Warum hast du nicht auf dein Gefühl gehört?“ Hab ich oft nicht und mich stattdessen an dem orientiert, was andere sagten, z. B. Berufskollegen. Ich hielt sie für klüger und mit der Materie besser vertraut. Anders ausgedrückt, ich dachte sie wüssten Bescheid, sie würden die Wahrheit kennen.

Ich bedauere, dass ich hauptsächlich aus Mangel an Selbstbewusstsein, nicht auf meine innere Stimme gehört habe. Ich habe mir letztlich den Verstand vernebeln lassen.

Heute bin ich dankbar, dass ich durch meine kunsttherapeutische Ausbildung gelernt habe, innere Vorgänge in ihrem Ursprung und ihrer Motivation zu erkennen, mal früher, aber manchmal auch erst später. Ich bin langsam. Mit anderen Worten heißt das, dass ich mich besser (aber immer noch nicht genug) kenne und eben früher oder später merke, wenn Beeinflussung beabsichtigt ist.

Mein Lieblingssatz ist nach wie vor: „Wir sind auf der Welt, um Bewusstsein und Selbstbewusstheit zu entwickeln“ (Wolf Büntig). Im Sinne der Wahr-Gebung übersetze ich Bewusstsein hier mit psychologischem Wissen.

Das wir eigentlich haben. Wir wissen, dass wir über Werbung manipuliert werden und wähnen uns damit auf der sicheren Seite. Ich habe heute noch die Persil-Werbung, vor zig Jahren gesehen, vor Augen: die adrette Hausfrau vor dem Schrank mit den ordentlich sortierten „reinweißen“ Handtüchern. Und ehrlich gesagt, daran halte ich mich noch immer.


Aber wenn unsere Kanzlerin sagt: „Die Lage ist ernst. Bitte nehmen Sie sie auch ernst.“ merken wir nicht, dass wir manipuliert werden.


Es ist ein Appell auf der unterschwelligen Angstschiene. Wir Menschen sind psychisch so ausgestattet, dass uns Appelle berühren. Ich habe mir vorgestellt, dass sie auch hätte sagen können: „Wir haben das im Blick. Wir haben ein gut aufgestelltes Infektionsschutzgesetz und die entsprechenden Behörden, Gesundheitsämter z. B., die werden die Entwicklung beobachten.“ Dann wären Daten erhoben worden und man hätte den Verlauf realistisch einschätzen können. Stattdessen kam ein ungeeigneter PCR-Test zum Einsatz und die symptomlose Infektion wurde erfunden. Kann ich das alles ernst nehmen? Müssen da nicht Zweifel an der Wahrheit aufkommen?


Das war m. E. der Beginn des Wahr-Gebungskrieges.

Wir erleben, bzw. erlebten, den fließenden Übergang von der Werbung zur Propaganda.

Natürlich wird dieser Begriff nur für die „andere“ Seite verwendet. Hier die Wahrheit – dort die Propaganda. Kann man das glauben?

Wir sollten alle über mehr psychologisches Wissen verfügen. Wir sollten wissen, dass es Machtbestrebungen und Narzissmus gibt. Es gibt sie, im persönlichen, wie im politischen Leben, wie im Kleinen, so im Großen.


Und es gibt Entwicklungen. Begonnen hat wohl die Entwicklung der „Beeinflussung“ mit Edward Bernays, der die Entdeckungen seines Onkels Sigmund Freud, dazu benutzte. Er erarbeitete für einen amerikanischen Zigarettenkonzern, der auf weiteres Wachstum setzte, die Kampagne „Fackel der Freiheit“ und holte damit die Frauen, die bis dahin nicht wirklich rauchten und schon gar nicht in der Öffentlichkeit, in ihrem Streben nach Freiheit und Gleichberechtigung ab. Nun konnte auch die andere Hälfte der Menschheit mit Zigaretten versorgt werden. Vor diesem Hintergrund hätte ich beinahe mit dem Rauchen aufgehört. Ich wusste das nicht.

Ich hatte auch nie etwas von psychologischer Kriegsführung gehört. Vielleicht doch, habe es aber nicht weiter zur Kenntnis genommen. Dann aber doch, als ich in der Biografie von Stefan Heym las, dass er im zweiten Weltkrieg bei der USA - Armee in der Abteilung für psychologische Kriegsführung gedient hatte. Er berichtet z. B., dass Flugblätter mit entsprechenden Texten ins gegnerische Lager geschossen wurde, um die Soldaten zur Aufgabe zu bewegen. Das macht übrigens heute auch die russische Armee in der Ukraine.


Inzwischen können wir davon ausgehen, dass in den Machtzentren unserer Welt intensiv geforscht wurde und ein Wissen verfügbar gemacht wurde, dass uns das Selberdenken fast verunmöglicht. Mir scheint, dass der Einzelne dem kaum etwas entgegenzusetzen hat, wenn er sich selbst nicht kennt und wenn er sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt hat. Wahrscheinlich hätten wir aus der Vergangenheit lernen können, wenn uns nicht schon bei der „Vergangenheitsbewältigung“ die Sicht auf die Entwicklung hin zum Nationalsozialismus und den Rassentheorien vernebelt worden wäre. Wir wollen „den Anfängen wehren“, wissen aber eigentlich nicht wie alles begann.


Diese Situation ist ernst, sehr ernst. Wir sollten sie ernst nehmen

Heute müssen wir Vertrauen durch Misstrauen ersetzen, am besten jedem gegenüber, auch uns selbst. Wir können uns auf unser Gefühl nicht verlassen. Wir müssen auch die „Quellen“ erforschen. Bei uns selbst und bei den Aussagen, die uns die „richtige“ Wahrheit vermitteln wollen.

Vor allem müssen wir unsere eigenen Interessen und Auffassungen erforschen, d. h. was ist mir wichtig in meinem Leben, wie denke ich über die Politik (was weiß ich wirklich über Demokratie), über Krankheit, Tod, Gesundheit, Selbstbestimmung, welche Erwartung habe ich – so in diesem Sinne. Wir sollten die Zeit aufbringen uns umfassend zu informieren. Wir müssen uns unsere Urteilskraft zurückerobern!

Wie heißt es:

Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf

                                                                                                                     

Wir lernen den Ernst der Lage in dem Buch von Jonas Tögel* „Kognitive Kriegsführung“ kennen. Er beschreibt nicht nur wie weit die Forschung im Bereich der „Soft Power“, wie er es nennt, gekommen ist, sondern auch wie schon Edward Bernays die enge Verbindung zur Demokratie gesehen hat. Der meinte nämlich, dass, wenn es um Mehrheitsentscheidungen geht, die Mehrheit im Sinne der Macht beeinflusst werden muss.

 

Es geht nicht darum, was du oder ich für die Wahrheit halten oder was unsere gefühlte Wahrheit ist. Gerade die Gefühle der Menschen sind das Ziel der Beeinflussung. Es geht um sehr viel mehr. Wir verheddern uns in unseren Streitigkeiten, beschäftigen uns damit, wie dumm und fehlgeleitet „die anderen“ sind und bemerken nicht, welche Entscheidungen im Hintergrund bereits getroffen wurden.


Es wäre so schön, wenn wir gemeinsam wachsam wären. Wir sitzen alle im selben Boot.





Ergänzende Informationen


*Pia Lamberty (* 1984 in Groß-Gerau) ist eine deutsche Sozialpsychologin, die zu Verschwörungsideologien forscht. Sie ist seit März 2021 Teil der Geschäftsführung der gemeinnützigen Organisation CeMAS – Center für Monitoring, Analyse und Strategie.


*Tom Oliver Regenauer, (*1987) Manager • Produzent • Autor • Journalist, Buch „Homo Demens“, 2022

 (ein „junger“ Mann“, dem ich zuhöre und mir auch von ihm die Welt erklären lass)


*Der Propagandaforscher Jonas Tögel erläutert die Hintergründe und Entstehungsgeschichte der Kognitiven Kriegsführung: vom Beginn moderner Kriegspropaganda vor 100 Jahren über die Militarisierung der Neurowissenschaften bis hin zu Zukunftstechnologien wie Nano-Robotern oder Neurowaffen. Und er zeigt, dass der Gedankenkrieg über sogenannte "Soft-Power-Techniken" bereits heute meist unbemerkt stattfindet.

Dr. Jonas Tögel ist Amerikanist und Propagandaforscher. Er hat zum Thema Soft Power und Motivation promoviert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Universität Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Motivation, der Einsatz von Soft-Power-Techniken, Nudging, Propaganda sowie epochale Herausforderungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Website des Autors ist www.jonastoegel.de.

Klappentext: "Die Kognitive Kriegsführung könnte das fehlende Element sein, das den Übergang vom militärischen Sieg auf dem Schlachtfeld zum dauerhaften politischen Erfolg ermöglicht."

Seit dem Jahr 2020 treibt die NATO eine neue Form der psychologischen Kriegsführung voran: die sogenannte "Kognitive Kriegsführung" ("Cognitive Warfare"), die als die "fortschrittlichste Form der Manipulation" bezeichnet wird. Diese nimmt die Psyche jedes Menschen direkt ins Visier, mit einem ganz bestimmten Ziel: unseren Verstand wie einen Computer zu "hacken".

Edward Bernays (1891-1995) gilt als Vater der Public Relations.

Mit seinem Buch Propaganda aus dem Jahr 1928 schuf er die bis heute gültige Grundlage für modernes Kommunikationsmanagement. Der in Wien geborene Bernays war ein Neffe Sigmund Freuds, der sich dessen Erkenntnisse der modernen Seele zunutze machte und sie in den Dienst von Regierungen und Konzernen stellte. Propaganda ist Bernays Hauptwerk.

In Propaganda (ein Begriff, den er später selbst in "Public Relations" umbenannte) beschreibt Bernays alle wesentlichen Techniken der Meinungsbeeinflussung wie z. B. den Einsatz von "neutralen Experten", um eine Aussage glaubhaft erscheinen zu lassen. Für den US-Präsidenten Wilson promotete er den Ersten Weltkrieg, mit den "Fackeln der Freiheit" machte er Zigaretten zum Symbol der weiblichen Emanzipation und brachte die amerikanischen Frauen zum Rauchen. Er arbeitete für Edison und Ford, aber auch für die CIA: Sie alle ließen sich von Bernays ihr Image aufpolieren oder die Marktchancen ihrer Produkte verbessern.

Bernays steht in einer Reihe mit den Strategie-Klassikern Machiavelli und Clausewitz. Knapp 80 Jahre nach dem Erscheinen von Propaganda und knapp ein Jahrhundert nach Entstehen der PR-Industrie erscheint dieses Buch nun erstmals auf Deutsch.

Meine Empfehlung: am besten bei https://www.buchkomplizen.de/  bestellen. Das klappt bestens!